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Erde als Souvenirladen

Über die Lust an kuriosen oder makabren Andenken/ Von P. R. Lang

Mr. Thumps saß in seiner Londoner Wohnung und zog die Bilanz seiner abgewirtschafteten Existenz. Er hatte noch einen Koffer, zwei Anzüge, drei Hemden, drei Zigarren und 120 Pfund Schulden. Wütend schnippte er die Asche seiner Havanna in den Aschenbecher und starrte auf das Motiv am Boden der Schale. Es zeigte den Tower. In goldener Bogenschrift stand darüber:

"Souvenir from London."

Das Bild im Aschenbecher und diehalbe Zigarre in seiner Hand stellten sofort eine Gedankenverbindung zu seiner tristen finanziellen Lage her. Souvenirs! Er hielt die Lösung seines Geldproblems zwischen Daumen und Zeigefinger: Zigarrenstummel. Es war Sommer, und durch Londons City schlenderten die Touristen. Souvenirs waren gefragt. Vor allem andenkensüchtige Amerikaner würden ihm "Churchills Zigarrenstummel" aus den Händen reißen.
Er musste sie nur teuer genug anbieten. Ein hoher Preis verbürgt ja die Echtheit. Mr. Thumps machte glänzende Geschäfte. Als der Betrug aufflog, hatte er sich bereits eine beträchtliche Summe aneignen können.

    Prestigefetisch

Für einfallsreiche Köpfe mit wenig Skrupeln liegt in der Reisezeit das Geld auf der Straße. Der elementare Zwang, dem zahlreiche Touristen in ihrer Souvenirgier gehorchen müssen, kommt ebenso den gewerblichen wie den betrügerischen Andenkenherstellern entgegen. Im Zeichen dieses Kults sind ganze Industrien entstanden.
Die Olympischen Spiele in Mexiko etwa erbrachten schon vor Jahrzehnten auf diesem Gebiet Millionen Dollar Einnahmen. Das Souvenirangebot in Mexiko City machte deutlich, dass der Andenkenhandel umso bessere Umsätze macht, je stärker er sich auf aktuelle Ereignisse verlagert. Der Grund liegt auf der Hand.
Die fünf Ringe auf dem Set, auf dem Halstuch oder dem Armreifen bestätigen die Teilnahme an dem größten Sportereignis des Jahres. Fotos und Filme haben die einst beliebten Ansichtskarten unnötig gemacht. Diesen neuen, unliebsamen Konkurrenten begegnete die Andenkenbranche mit einem snobistisch ausgerichteten Angebot, das prompt akzeptiert wurde. Das ursprünglich simple Reiseandenken, das die Anrichte ziert, ist heute zu einer Art Prestigefetisch geworden. Guter Geschmack ist dabei nicht immer angebracht.
So kam es, dass der Handel mit Reiseandenken, der noch in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts ein kleines Nebengeschäftchen war, zum entwicklungsfähigen Industriezweig wurde. Während des Winters arbeiteten die schnitzbegabten Familienmitglieder entlegener Bauernhöfe an Miniaturkrippen, Kochlöffeln und Schalen. Im Frühjahr brachten sie ihre Arbeiten in die Dörfer und Städte und freuten sich redlich über die paar Schillinge, die sie verdienten.
In Admont, einem Zentrum ländlicher Schnitzkunst, wird heute noch an der Tradition festgehalten. Aber die kleinen hölzernen Schöpfungen sind nicht mehr nur Ausdruck des Brauchtums der Menschen am Rande des Gesäuses.

"Hau dann und wann - tüchtig deinen Mann!" Dieser kernige Spruch auf hölzernen Specktellern war früher den Urlaubern aus Wien vorbehalten. Heute werden diese und ähnliche Empfehlungen auf Englisch, Französisch und Italienisch in Tausende von Tellern und Kochlöffeln gebrannt. Die Schnitzer in den alpenländischen Andenkenwerkstätten sind sozialversichert und arbeiten von Januar bis Dezember. Denn die nächste Saison kommt bestimmt.
Neben den örtlichen Betrieben hat sich in den Großtädten die Fließbanderzeugung etabliert. Die Souvenirindustrie beliefert die Basare des Orients mit der gleichen landesüblichen Andenkenware wie die Indianerreservate Nevadas. Was fabrikmäßig hergestellt wird, bekommt der Tourist als Landeserzeugnis sowohl in Kairo und Rabat wie in Macao und Bombay für teures Geld angeboten. Und meistens steht, wenn man genau hinsieht, "Made in Taiwan" oder "Made in Korea" auf der Rückseite.
Kein Ort der Welt, wenn er nur etwas zu bieten hat, bleibt verschont. In Bethlehem etwa kann man in kleine Flaschen abgefülltes Jordanwasser kaufen, Erde vom Ölberg, in Wachs gebettete winzige Steinchen vom Heiligen Grab oder Rosenkränze aus Olivenkernen, die garantiert vom Ölberg stammen. Mit der gleichen Geschäftigkeit wird der Andenkenrummel nach Katastrophen und Kriegen betrieben. Zahlungskräftigen Touristen aus Übersee wurden etwa nach 1945 zentimeterlange Stücke von den Henkerstricken, welche nach den Nürnberger Prozessen zum Einsatz kamen, angeboten. "Verbürgt echte" Stoffreste vom "Führerzelt" wurden ebenso lukrativ gehandelt wie kleine Beton- oder Ziegelbrocken von der ehemaligen Reichskanzlei in Berlin oder Hitlers Berghof in Berchtesgaden.

    Andenkenjäger


Aus dem Wrack des deutschen U-Bootes 7-51, das in der Wesermündung gehoben wurde, sind die Gebeine von 17 Seeleuten geborgen worden. Das Boot war 1916 von einem britischen U-Boot mit einem Torpedo versenkt worden. Souvenirappetit und vielleicht auch militantes Bewusstsein ließen zahlreiche Bewohner der Umgebung das Wrack mit Meißel und Hammer bearbeiten. H andtellergroße Stücke der verwitterten Schiffsaufbauten wanderten in die Andenkenschränke.
Wer nicht von Andenkenhändlern gejagt wird, jagt selbst nach Souvenirs. Im Drange ihrer Leidenschaft entpuppen sich die Sammler oft als flinke Langfinger. Aus dem UNO-Hauptquartier in New York verschwinden Tag für Tag Bleistifte, Schreibmappen, Handtücher, Wassergläser, Servietten, Türbeschläge, Orientierungstafeln und Namensschilder. Eine eigene Abteilung musste eingerichtet werden, um die entwendeten Gegenstände laufend zu ersetzen. Ertappte Souvenirjäger müssen eine Erklärung unterschreiben, die ihnen zur Kenntnis bringt, dass im Wiederholungsfall Anzeige gegen sie erhoben wird.
Ohne Warnschuss freilich wurde ein argentinischer Besucher des UNO-Gebäudes zur Verantwortung gezogen, der einen Telefonhörer vom Draht schnitt und in seiner Aktentasche verstaute.
Auf den großen Ozeandampfern fehlen nach jeder Rundreise oder Überfahrt hunderte kleine Dinge, die von den Passagieren als Souvenirs mitgenommen werden. Nach der Jungfernfahrt der "Europa" fiel den Zöllnern eine Segeltuchtasche mit allzu kantigen Ausbuchtungen auf. Sein Besitzer musste das Gepäckstück öffnen. Zum Vorschein kam eine Nachtkästchentür.

60.000 Maßkrüge
Auch die Stewardessen der Passagierflugzeuge und die Speisewagenkellner der europäischen Fernverkehrszüge können von der Sammelleidenschaft ihrer Schutzbefohlenen ein Lied singen. Denn nicht nur die Nylonhüllen der Speisekarten, auch Zuckerdosen, Luftpolster und Plaids werden als bleibende Erinnerung mitgenommen.
Fest eingerechnet in die Passiva des Münchner Oktoberfestes ist das Verschwinden von mindestens 60.000 Maßkrügen pro Fest. Nicht einmal die ägyptischen Pyramiden entgingen der Sammelwut der Andenkenjäger. Man schätzt, dass die Menge des Gesteins, das als Erinnerungsstücke von Ägypten-Reisenden alljährlich abgetragen wird, über eine Tonne wiegt.
Ein im Brüsseler Naturkundemuseum ausgestellter präparierter Wal hat alle seine Zähne an die souvenirsüchtigen Besucher eingebüßt. Auch die ursprünglichen Balsaholzbalken des berühmten Floßes Kon-Tiki, mit dem Thor Heyerdal den Stillen Ozean bezwang und das in einem Osloer Museum ausgestellt ist, mussten, weil sie entwendet worden waren, allesamt durch Duplikate ersetzt werden. Organisierter Diebstahl
Nach der Brüsseler Weltausstellung von 1958 stellte man mit Entsetzen fest, dass ein Andenkenjäger von einer dort zur Schau gestellten unschätzbaren Mozart-Partitur ein Stück des Papiers, das einen handschriftlichen Vermerk Mozarts trug, abgerissen hatte.
Gefeierten Stierkämpfern in Spanien und Mexiko wird mitunter das Gewand vom Leib gerissen, um die Andenkensucht der Fans zu befriedigen. Besonders verurteilenswert sind solche Diebstähle, die aus spekulativem Erwerbssinn begangen werden.
Selbstverständlich gibt es längst schon Unterweltorganisationen, die sich diesem einträglichen Zweig der Kriminalität verschrieben haben. Ihre Kunden sind Millionäre und krankhafte Fetischisten. So waren etwa auch die trüben Quellen, aus denen der amerikanische Zeitungskönig Hearst einst seine antiken Marmorsäulen, alten Schlosslaternen, Kruzifixe, Taufbecken usw. bezogen hatte, nach dessem Tod Gegenstand kriminalistischer Untersuchungen gewesen. Freilich mit sehr geringem Erfolg.

Quelle: Wiener Zeitung, Erschienen am: 01.08.2003
  

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